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05.08.2003, PNN

Stahnsdorf.

"Ravensbrück", flüsterten die Erwachsenen und legten den Zeigefinger auf den Mund. Etwas Unheimliches verbarg sich hinter diesem Wort, das Gerda Szepansky zum ersten Mal hörte als sie 15 Jahre alt war. Doch ihre Fragen wurden nicht beantwortet, die Erwachsenen sagten nur: "Das mußt du nicht wissen!".

Nach dem Zweiten Weltkrieg wusste sie, warum. Da war sie 19 Jahre alt, aber auch in den Jahren danach stellte sie fest: "Zu diesem Thema herrschte in der BRD großes Schweigen und eigentlich wollte keiner darüber reden". Mit einer Studentengruppe, die ebenfalls mehr wissen wollte, besuchte sie in 1970er Jahren die Gedenkstätte und ein Bild kann sie seitdem nicht vergessen: unzählige Blumen, Rosen, Nelken, schwammen auf dem Schwedt-See, hinein geworfen von den Überlebenden, zum liebevollen und ehrenden Gedenken an Tausende ihrer ermordeten Kameradinnen. Deren Asche ruht im See, dessen Spiegel sich dadurch angehoben hatte.

Noch oft kam Gerda Szepansky in das ehemalige Frauen-KZ, denn "die Geschichte von Ravensbrück kam mir nahe und als Autorin wollte ich dieses Kapitel Frauengeschichte lebendig erhalten".

Am Montag stellte sie im Gemeindezentrum, Annastraße ihr Buch "... und dennoch blühten Blumen" vor, das die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung herausgab. Mit Co-Autorin Helga Schwarz begab sie sich auf Spurensuche in Archive, besuchte Überlebende oder deren Kinder, sammelte Gedichte, Briefe und Zeichnungen. Viele dieser Dokumente werden auch in einer begleitenden Wanderausstellung gezeigt, die von der Stahnsdorferin Christine Dunkel und Teltows Gleichstellungsbeauftragten Regine Rothaupt organisiert wurde und noch bis zum 15.September im Gemeindezentrum zu sehen ist.

Erst beim Lesen der Texte wird klar, was die Gedichte, Zeichnungen und selbst gebastelten Puppen einst für die Häftlingsfrauen bedeuteten. Auf einer Zeichnung lächelt ein Mädchen mit dicken Zöpfen – das Porträt entstand nach einem Foto und zeigt die Tochter einer Häftlingsärztin, die nur für wenige Stunden das Foto ihres Kindes behalten durfte.

Eine Mitgefangene zeichnete das Foto ab, das die Mutter wie einen Schatz behütete. Andere Zeichnungen dokumentieren den Lageralltag vom Zählappell bis zur abendlichen Stunde, in der man von zu Hause sprach. Zehntausende starben und nur wenige Einzelschicksale blieben durch Dokumente und Berichte erhalten. So auch die Geschichte einer französischen Ordensschwester, die anstelle einer Mutter von fünf Kindern in den Gastod ging.

Zum traurigsten Kapitel des Lagers gehören aber die Kinderschicksale. Manche kamen mit den Müttern ins Lager und die größeren mußten schon wie die Erwachsenen in den Rüstungsbetrieben schuften. Um den Kindern eine Freude zu machen und auch, um sie einmal lachen zu sehen, organisierten die Frauen 1944 ein Weihnachtsfest. Jedes Kind bekam ein gebasteltes Geschenk und zwei Scheiben Brot, das sich die Frauen von ihren Rationen absparten. Mit leuchtenden Augen aßen die Kinder das Brot langsam, Bissen für Bissen. Einige Monate später mußten die Frauen zuschauen wie die Kinder deportiert wurden – in den Tod. Nur wenige konnten gerettet werden wie Guy Poirot, der später Lehrer wurde und in Paris lebt. Er war eines von 863 Kindern, die in Ravensbrück geboren wurden. Die meisten starben schon nach wenigen Tagen. Als Guy zur Welt kam, weinte seine Mutter, weil sie nun nicht mehr nach Schweden konnte. Dorthin durfte das Schwedische Rote Kreuz einige Häftlingsfrauen evakuieren, die aus westlichen Ländern stammten. Sie durften jedoch keine Widerstandskämpferinnen und auch keine Mütter mit Kindern sein. Deshalb wurde Guy in der Lagerkartei als gestorben gemeldet und vorerst von einigen Frauen versteckt. Am Tage des Abtransportes traten die zur Evakuierung ausgewählten Frauen vor dem Lagertor an, auch die Französin Pienotte Poirot. Kurz bevor der Trupp das Lager verließ, eilte noch eine Frau mit einem Lumpenbündel zu ihr und rief: "Madame, bagage!". Zuvor hatte sie der Wachmannschaft erklärt, die Frau habe ihr Gepäck vergessen. Von denen ahnte keiner, dass zwischen den Lumpen ein Säugling lag. Nur die Frauen bangten bis der Trupp zum Lager hinausging: Wenn er nur nicht schreit. "Lumpi", so nennen ihn noch heute liebevoll die Frauen vom Komitee der Ravensbrücker Häftlinge, kommt jedes Jahr am Tag der Befreiung nach Ravensbrück.

Die Gedenkstätte ist heute ein Ort der Ruhe, aber auch ein Ort der Beklommenheit mit seinen Stacheldraht bewehrten Mauern, hinter denen 132 000 Frauen aus über 40 Nationen gefangen gehalten wurden. 7500 von ihnen konnte das Internationale Rote Kreuz kurz vor Kriegsende retten, aber noch nach der Befreiung starben viele an Krankheiten und Unterernährung.

Ausstellung und Buch sollen helfen diese Geschichte begreifbarer zu machen, vor allem für die Jüngeren. Doch mit einer Wochenstunde für das Fach Geschichte in der 9. Und 10.Klasse bleibe hier viel dem Engagement des
Fachlehrers überlassen, wie eine Kleinmachnower Lehrerin im Ausstellungsgespräch anmerkte.

K.Graulich

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